EINWANDERUNGSDEBATTE
Multikulti rechts
Horst Seehofer oder die Angst des Populisten: Wie viel Engherzigkeit verträgt Deutschland?
Auch dumme Sprüche können eine Debatte voranbringen. Horst Seehofers Behauptung, wir brauchten »keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen«, ist so ein Fall.
Das Gegenteil ist nämlich wahr. Deutschland bekommt nicht die Zuwanderer aus »anderen Kulturkreisen«, die es dringend braucht. 34000 Ingenieursstellen waren 2009 offen, und doch konnte das Land nur 5000 Hochqualifizierte gewinnen – die meisten aus China und Indien.
Aber diese begehrten Einwanderer hat Seehofer natürlich nicht gemeint. »Andere Kulturkreise« – das ist ein Codewort für »Türken, Araber, Muslime«. Seehofer sucht Anschluss an die Debatte um Thilo Sarrazin. Leider hat auch er dessen Buch nicht gelesen. Darin steht, wer qualifiziert genug für unseren Arbeitsmarkt sei, »kann selbstverständlich auch aus einem muslimischen Land kommen«. Seehofer ist beim Versuch, Sarrazin einzuholen, rechts an ihm vorbeigeschossen und neben dem niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders gelandet. Der will nicht mal Christen aus dem Irak aufnehmen – wer aus dem islamischen »Kulturkreis« kommt, ist kontaminiert.
Populismus ist auch in Deutschland eine große Versuchung in Zeiten schwindender politischer Legitimation der Volksparteien. Im Unterschied zum hemmungslosen Original sind die Erfolgsaussichten der Kopie begrenzt. Denn dies ist ein Populismus aus Angst vor dem Volk.
Man kann diese Angst spüren, wenn Angela Merkel Seehofers xenophobe Spielchen jetzt »nachvollziehbar« nennt. Man wüsste gern, wie sie das dem halb nackten Mesut Özil nach dem Spiel gegen die Türkei erklärt: Fand sie nicht Wulffs Rede richtig und Sarrazins Buch »nicht hilfreich«? Was denkt sie wirklich über den Islam? Und Sigmar Gabriel? Attackiert Sarrazin, um dann doch wie jener gegen »Integrationsverweigerer« zu poltern. Die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer ist seit Wochen abgetaucht und sitzt die wichtigste Debatte über ihr Thema im Bunker des Kanzleramts aus.
Sarrazins Erfolg hat die Politik in Furcht und Schrecken versetzt. Man fürchtet, von der Welle, die er ausgelöst hat, erfasst zu werden – und versucht doch zugleich, auf ihr zu surfen. So tritt das Paradox ein, dass genau jene Parolen in den Mainstream einsickern, für die man ihren Urheber ausgeschlossen hat.
Fahrlässiges Geschwätz von »Kulturkreisen« unterhöhlt die Geschäftsgrundlage des Einwanderungslandes, das von jedermann einen Beitrag erwarten und fordern muss, egal, welchen Glaubens. Darin lag die Berechtigung der Kritik am Multikulturalismus: dass er Menschen nicht als verantwortliche Individuen versteht, sondern als Gefangene starr abgegrenzter Kulturen. Wer jetzt das Einteilen in »Kulturkreise« forciert, wiederholt diesen Fehler: Multikulti von rechts.
Mindestens in einer Hinsicht war Sarrazin doch hilfreich. Er hat gezeigt, wie groß Einwanderung und Integration verhandelt werden müssen – eine politische Führungsaufgabe, nicht kleiner als Ostpolitik und Nachrüstung.
Den Deutschen ist zuzutrauen, dass sie besonnen bleiben. Nach Umfragen steigt zwar die Skepsis gegenüber dem Islam. Aber es wäre falsch, das als Islamophobie zu deuten: Wie islamfeindlich kann ein Land sein, das in fünfzig Jahren die Entstehung von mehr als 2600 Moscheen und Gebetsräumen ohne große Konflikte ertragen hat? Ein Wort der Anerkennung von muslimischer Seite wäre überfällig.
Es gibt nämlich keine Garantie dafür, dass dieses Land so weltoffen bleibt. Die Politik muss die Angst vor dem Volk überwinden und der Mehrheit ebenso wie der Minderheit die Wahrheit sagen: Nein, wir werden nicht von muslimischen Horden überrannt. Mehr Abwanderer gingen im vergangenen Jahr in die Türkei, als Einwanderer von dort zu uns kamen.
Es gehen oft die Besten. Wir scheitern im Wettlauf um die Elite der Migranten. Wenn wir das stoppen wollen, müssen wir mehr Differenz aushalten. Ohne Ressentiment und Kulturdünkel kann man auch mehr Integration von den Migranten verlangen. Der türkische Europaminister Egemen Bağiş fordert: »Passt euch den Sitten und Gebräuchen eures Gastlandes an!« Deutschland ist ein weltoffenes Land.
Noch. Die Zukunftsfrage lautet nicht bloß, wie viel Islam Deutschland verträgt, sondern: wie viel Engherzigkeit.
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