PRIVATSPHÄRE
Fischermann googelt Fischermann
Ein Mensch sucht sich selbst im Netz: Warum sich lauter harmlose Daten zu einem erschreckend vollständigen Bild fügen – ein Selbstversuch von Thomas Fischermann.
Es gibt kein Google-Street-View-Bild vom Wohnhaus des Wirtschaftsredakteurs Thomas F.. Auf irgendeinem Computer des Konzerns mag es schon schlummern, freigeschaltet ist es nicht. Es geht also nicht, dass man unter maps.google.de die Wohnadresse des Redakteurs eintippt, ganz nah heranzoomt und dann sozusagen virtuell vor seiner Haustür steht.
In Amerika ist so etwas schon möglich, und in den kommenden Monaten soll es auch in Deutschland funktionieren. Dann können Menschen vom Bildschirm aus auf die schwere, schwarz gestrichene Eingangstür schauen, sich mit einer kreisenden Mausbewegung drehen, um auf das kleine Architekturbüro zur Linken und das Kosmetikstudio zur Rechten blicken, oder um die stattliche alte Fassade mit ihren Simsen hinaufzublinzeln. Alles, ohne den Sitzplatz vor ihrem Computer zu verlassen.
Das geht natürlich auch anders. Buslinie 48 nehmen, vor dem Haus des Redakteurs aussteigen und auf den Bordstein stellen. Doch wer am Bildschirm sitzt, erfährt mehr als ein Passant.
Googles Einblicke in das Wohnhaus des Redakteurs F. enden nicht vor der Eingangstür. Das Netz ist das Netz: ein weltweites Gedächtnis, das selten etwas vergisst. Google ist Google: Eine Armee aus Rechnern, zusammengespannt, um dieses Gedächtnis zu durchpflügen. Jeder kann sie in Bewegung setzen.
Street View verlässt man mit einem Knopfdruck. Dann schrumpft die schwere schwarze Eingangstür zu einem kleinen Ball zusammen, und wie im Traum schwebt der Google-Benutzer über dem Dach des Gebäudes. In Wahrheit blickt er auf die Aufnahme eines Satelliten oder eines Flugzeugs, und er sieht nun mehr als jeder Passant: eine steinerne Gartenterrasse. Ein rotes Planschbecken. Es sind sehr alte Aufnahmen, aber immerhin.
Innenräume lassen sich nicht betrachten. Dafür bräuchte der Internetsurfer mehr Glück: Eine Wohnung müsste vom Vermieter zur Werbung ins Netz gestellt werden, samt Fotoaufnahmen. Oder irgendwer müsste aus irgendeinem Grund dort ein Foto aufgenommen haben, bei einer Party etwa, um es dann mit einem sogenannten "GeoTag" versehen ins Netz zu laden. GeoTags sind kleine Zusatzangaben zum Foto, die genau beschreiben, wo die Aufnahme entstand. Etliche Kameras fotografieren heute mit GeoTags. Viele Leute laden solche Bilder ins Netz. Im Wohnhaus des Redakteurs F. bislang niemand.
Wenn man mehr erfahren will, steckt man jetzt ein bisschen fest. In den üblichen öffentlichen Online-Telefonbüchern – zum Beispiel dem von der Deutschen Telekom – fehlt eine Suchfunktion, mit der die reale Welt durchaus ausgestattet ist: Man kann die Klingelschilder nicht ablesen. Man kann nicht einfach irgendwo sehen, wer alles in diesem Haus wohnt. Das elektronische Telefonbuch verweigert die Auskunft. Aus Datenschutzgründen ist die Funktion gesperrt.
Es gibt aber eine Menge von Wegen um diese Beschränkung herum. Links und rechts der Onlinesuche erscheinen bald kleine und vermutlich auch anrüchige Angebote, platziert von den automatischen Werbeprogrammen Googles: "Wir finden jeden!" steht da zum Beispiel. Wer darauf klickt, stößt auf kostenpflichtige Angebote, bei der Adressensuche behilflich zu sein. Aha! Google hat inzwischen begriffen, dass jemand vor dem Computer sitzt, der nach Namen und Adressen fahndet!
Zu diesen Angeboten gehört, dass man eine sogenannte Telefonbuch-CD kaufen soll. Mit solchen CDs können Computerkundige so lange herumtricksen, bis sie die gewünschte Art der Suche ausführen können: Wer wohnt alles in diesem Haus? Eigentlich ist das auch auf diesen CDs gesperrt. Solche Suchen seien verboten, raunt es in den einschlägigen Foren und Chatroomseiten, es sei zumindest gegen die Geschäftsbedingungen der Hersteller der CDs. Ob sich wohl jedermann darum schert?
Der Redakteur F. ist sowieso nicht dadurch geschützt. Er hat gelegentlich und nicht nur einmal auf einer öffentlichen Webseite und in Chats gesagt: Hallo, ich bin der Redakteur F., und hier wohne ich. Das Netz vergisst es nicht. Es weiß: Der Redakteur F. wohnt irgendwo hinter der schweren, schwarzen Eingangstür.
Von diesem Punkt an ist es ein Kinderspiel, mehr zu erfahren. Mit ein paar Klicks findet man seine private Telefonnummer heraus (das Telefon steht in einem Schrank und wird quasi nie benutzt, aber rufen Sie ruhig an). Noch ein paar Klicks, und man findet seine dienstliche E-Mail-Adresse. Das reicht, um in Suchmaschinen wie Google oder 123people.de oder Metacrawler seitenweise Informationen über den Redakteur F. aufzurufen.
Leider alles ein bisschen langweilig. Aber jede Menge Informationen.
Der Redakteur F. hat viele Artikel in der ZEIT geschrieben (Kunststück). Er hat einen Wunschzettel auf Amazon, wonach er gerne den Speicher seines Apple-Notebook "MacBook Pro" aufrüsten würde (na ja, der gehört eigentlich seiner Frau). Im bevorstehenden Urlaub möchte er den Roman Sea of Poppies von Amitav Ghosh lesen. Er hat eine Handvoll Namensvetter im Netz, das stört eher bei der Suche, doch den richtigen Fischermann von den falschen zu trennen ist nicht schwer: Man kennt ja F.s Adresse.
F. hat 2003 ein Buch veröffentlicht, von dem 22 gebrauchte Restexemplare für 0.01 Euro das Stück erstanden werden können. Manche Käufer haben es aufmerksam und mit Gewinn gelesen ("Gelbe Textmarker-Markierungen vorhanden!"). Es gibt Leute, die nennen ihn Tom. Seine dienstliche Nummer findet sich auf einer Webseite zur Vermittlung von Rednern und Moderatoren, ebenso eine Fülle von Veranstaltungen samt Datum, Uhrzeit, Ort und Fotos, wo F. schon aufgetreten ist. Er spricht Englisch und Portugiesisch, sein Lebenslauf steht zum Download bereit. Er ist der Cheftexter einer englischsprachigen Humor-Webseite, die seit 2001 keinen neuen Witz veröffentlicht hat. Er hat eine liberale Einstellung zum Kopieren von Musikdateien. Abitur machte er 1988 in 50181 Bedburg an der Erft. In den achtziger Jahren programmierte sein Softwarelabel namens Interface Software ein Atari-Computerspiel namens Spaceball.
Man stößt, wenn man noch weiter klickt, irgendwann auf F.s private E-Mail-Adressen. Solche von heute und solche von früher. Wenn man diese wiederum in die Suchmaschine füttert, lernt man noch vielmehr über ihn, zum Beispiel über seine Käufe bei Internet-Auktionen oder Wortmeldungen in dem Internetforum Cable Asylum, wo es um die optimale Verlötung hochwertiger Stereokabel geht. Man zieht aus all dem seine Schlüsse. Vielleicht findet man, dass F. kein rasantes Leben voller Abenteuer führt.
Aber darum geht es ja auch nicht. Es erschrickt einfach, was man durch die schlichte Kombination von Daten im Netz erfährt – über einen Ort, und über die Menschen, die dort wohnen.
Dabei ist die schlichte Suche, wie sie hier beschrieben wird, das Googeln, nichts im Vergleich zu dem, was eines Tages möglich sein soll. Schon heute schicken ja Handys pausenlos die Ortungsdaten ihrer Benutzer an Rechnerzentralen, und die ersten Dienste sind schon da, mit denen man diese Information freiwillig und ebenso pausenlos der Öffentlichkeit preisgeben kann. Alles davon wird gesammelt und zu kommerziellen Zwecken ausgewertet, mehr und mehr wird öffentlich: Präferenzen für Filme und Musik und Restaurants und die Verweildauer vor bestimmten Schaufenstern und der Besuch bestimmter Adressen im Netz und in der Stadt. Die Welt kann dann wissen, wenn der Redakteur F. mal nicht zuhause ist.
Bisher geht diese Echtzeit-Transparenz in den sozialen Netzwerken am weitesten. Karriereportale wie Xing und LinkedIn, virtuelle Treffpunkte wie SecondLife, MySpace und Facebook. Die paar Klicks und die paar Suchanfragen von vorhin haben ergeben, dass der Redakteur F. selbst eine Reihe solcher Dienste abonniert, Facebook zum Beispiel. Dort chattet er mit vielen Freunden, trifft Verabredungen, tauscht private Fotos aus und vertrödelt generell viel Zeit.
Es wird nicht jedermann enttäuschen, aber: Man kommt nicht leicht ran an F.s Geplapper. Es gibt Hacker, die angeblich ein paar Tricks kennen, aber für Normalnutzer gilt: F. hat bei Facebook Einstellungen vorgenommen, die seine privaten Daten vor Unbekannten schützen, und dabei bleibt es erstmal. Man könnte sein Passwort knacken, um Zugang zu erhalten, aber das ist reichlich illegal. Außerdem hat sich F.s Passwort bei Facebook – toi, toi, toi – bislang als recht sicher erwiesen.
Aber F. hat, das kriegen Sie raus, 119 Freunde auf Facebook. Jeder dieser Freunde kann sehen, was F. so schreibt.
Berichtigung: Jeder, der sich unter dem Namen eines dieser Freunde und mit dem entsprechenden Passwort anmeldet, kann sehen, was F. so schreibt. Ob wirklich alle Freunde von F. sichere Passwörter haben ... ?
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