miércoles, 16 de junio de 2010

DE DIE ZEIT, SOBRE ESPAÑA

Finanzkrise

In der Schuldenfalle

Spaniens Regierung versucht fieberhaft, der Krise zu entkommen. Der Zorn bei Gewerkschaftern, Beamten, Arbeitslosen und Einwanderern wächst. Eine Reise in ein verstörtes Land

  • Von Karin Finkenzeller
  • Datum 16.6.2010 - 18:08 Uhr
Beschäftigte im Öffentlichen Dienst  protestieren in Madrid gegen die Sparpläne der Regierung

Beschäftigte im Öffentlichen Dienst protestieren in Madrid gegen die Sparpläne der Regierung

Enrique Salazar sieht aus, als wolle er gleich zu einer Hochzeit im spanischen Königshaus aufbrechen. Der Frack ist frisch gebügelt, die Fliege sitzt fest am weißen Hemdkragen, der Zylinder liegt vor ihm auf dem Armaturenbrett seines Autos. Doch wo Salazar vorfährt, ist den Menschen nicht nach Feiern zumute. Im Gegenteil. Der 48-Jährige steckt in seiner Arbeitskleidung. Er ist ein cobrador del frac, ein Geldeintreiber im Frack. Wenn er in seiner Aufmachung säumige Schuldner vor aller Augen auf der Straße konfrontiert oder Nachbarn und Kunden über deren Zahlungsunwillen informiert, bereitet er so viel Scham, dass die offenen Rechnungen meist bald beglichen werden.

Überall in Spanien sind Salazar und seine befrackten Kollegen inzwischen bekannt. Das Geschäft des Inkasso-Unternehmens, für das sie arbeiten, boomt wie kaum ein anderes in diesen Zeiten. Galt das Land vor Beginn der Krise noch als Musterschüler der EU, weil es drei Jahre hintereinander Haushaltsüberschüsse auswies, ist es inzwischen nach Griechenland zum größten Sorgenkind mutiert. 20 Prozent beträgt die Arbeitslosigkeit, bei Jugendlichen sogar fast 40 Prozent. Der Immobilienboom, der mehr als ein Jahrzehnt lang die größte Stütze des Wirtschaftswachstums war und Millionen Menschen Arbeit ermöglichte, ist zusammengebrochen. Schon wird darüber spekuliert, dass die Banken und Sparkassen, die mehr als eine Billion Euro an Hypothekenkrediten ausstehen haben, die Last aus eigener Kraft nicht mehr tragen könnten. Dann müsste die EU den Iberern womöglich Kredite aus dem mit 750 Milliarden Euro bestückten Stabilisierungsfonds gewähren.

Eine Arbeitsmarktreform diskreditiert den Regierungschef im eigenen Lager

Spaniens Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero, bis Ende des Monats offiziell noch EU-Ratspräsident, ist längst nicht mehr Herr seiner Entscheidungen. Er steht unter enormem Druck, innen- wie außenpolitisch. Zum Gipfel in Brüssel musste er ein starkes Signal des Reformwillens aussenden. Jetzt verabschiedete sein Kabinett eine Arbeitsmarktreform, die der Sozialdemokrat selbst unlängst noch als »nicht so wichtig« erachtete und die ihn zusammen mit dem Ende Mai beschlossenen Sparpaket im eigenen Lager diskreditiert. Gewerkschaften, Familien, Staatsbedienstete und Arbeitslose sind empört. Die konservative Opposition hofft derweil auf vorgezogene Neuwahlen.

»Wenn uns jemand beauftragt, werde ich auch bei der Wirtschaftsministerin oder dem Regierungschef vorstellig«, sagt Salazar schmunzelnd. Der Geldeintreiber war bis vor zwei Jahren Inhaber einer kleinen Baufirma in Toledo. Weil seine Kunden nicht mehr zahlten, ging er pleite. Da war kein Schutzschirm der EU, unter den er sich hätte stellen können, wie es nun womöglich sein Land tun kann. Nur das Angebot der Inkasso-Firma, die er in seiner Not beauftragt hatte, für sie zu arbeiten. »Am Anfang war mir das unangenehm, die Leute so anzugehen«, erzählt er. »Aber ich muss drei Kinder ernähren. Wir müssen alle sehen, wo wir bleiben.«

Nothilfen für Spanien mögen angesichts einer spanischen Staatsverschuldung in Höhe von 53 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zwar reichlich übertrieben erscheinen. Brüssel und Madrid dementieren auch entsprechende Pläne. Schließlich haben etwa Deutschland mit 73 Prozent und Frankreich mit 78 Prozent weit höhere Schuldenquoten. Doch die größte Sorge bereitet Spaniens Regierung derzeit eine mögliche Schieflage des Bankensektors. Der Interbankenhandel kam in den vergangenen Tagen praktisch zum Erliegen. Institute aus der Euro-Zone, die laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 600 Milliarden Euro in Spanien investiert haben, trauen sich nicht mehr, den spanischen Kollegen Geld zu leihen. Laut der spanischen Notenbank mussten seit dem Platzen der Immobilienblase 2007 bereits 43 Milliarden Euro als faule Kredite abgeschrieben werden. Weitere 123 Milliarden Euro seien zumindest als kritisch einzustufen.

Auch Marta hat so einen Kredit erhalten. 2004 kam die heute 55-Jährige aus Ecuador nach Madrid, mit einem Touristenvisum. Sie blieb. Wie Millionen andere Einwanderer, denn die Behörden drückten beide Augen zu, legalisierten deren Aufenthalt sogar. Spaniens Boom, der auf Sand gebaut war, verlangte nach billigen Arbeitskräften. 2007, die Immobilienpreise hatten nach zehn Jahren jeweils zweistelliger Wachstumsraten ihren Höhepunkt erreicht, kauften Marta und ihre Tochter eine Dreizimmerwohnung in San Cristóbal de los Ángeles im Süden Madrids. Erspartes hatte Marta als Altenpflegerin zwar nicht, doch waren Baufinanzierungen zu 100 Prozent über 40 Jahre hinweg damals an der Tagesordnung, auch in ihrem Fall. Spanien lebte auf Pump, das war normal und bescherte den Finanzhäusern satte Zinseinnahmen.

»Ich dachte, die Wohnung wäre mal für meine Enkel«, erzählt Marta. Doch seit einem halben Jahr ist sie arbeitslos. Wovon sie nun jeden Monat 1100 Euro Kredit abbezahlen soll, weiß sie nicht. Sie hat einen Zettel mit ihrer Telefonnummer an einen Laternenpfahl geklebt: »Zimmer zu vermieten an alleinstehende Frau oder Paar, 300 Euro.« Die letzte Hoffnung, ehe womöglich auch Martas Wohnung zu dem stetig wachsenden Immobilienstock zählt, den Spaniens Banken und Sparkassen von ihren säumigen Kunden übernehmen. Dafür müssen sie hohe Rücklagen bilden, die die Bilanzen belasten.

Ein gutes Dutzend ähnlicher Zettel hängt allein in dem Straßenkarree hinter dem Madrider Bahnhof Atocha, wo Marta an diesem Morgen mit ein paar Hundert anderen Menschen bei der Hilfsorganisation Acogem ansteht. Ehrenamtliche Mitarbeiter verteilen Plastiktüten mit Grundnahrungsmitteln wie Zucker, Mehl, Nudeln und Öl. Für die Ersten in der Schlange, die vor der Tür übernachtet haben, ist auch Obst und Salat dabei. »Früher baten vielleicht 150, höchstens 200 Menschen um Essen. Inzwischen sind es jedes Mal bis zu 500«, sagt die Leiterin Cecilia Fernández Lozano. »Wir erleben ein Desaster, und es wird noch eine Weile andauern.«

Experten widersprechen der optimistischen Darstellung der Regierung, wonach bereits nächstes Jahr wieder neue Stellen geschaffen werden. Frühestens 2017 könnte das der Fall sein, rechnet die Rating-Agentur Standard & Poor’s vor. Daran wird auch die Lockerung des Kündigungsschutzes nichts ändern, die Zapatero auf Druck von EU, Währungsfonds und Finanzmärkten und ohne den Konsens der Gewerkschaften nun durchsetzen muss. Jobs, darin sind sich alle einig, wird es erst wieder geben, wenn die Wirtschaft anspringt. S&P hat aber auch die Wachstumsprognosen der Regierung von 1,3 Prozent im nächsten Jahr und 2,5 Prozent 2012 in das Reich der Träume verbannt. Die Agentur hat Spanien binnen eines Jahres von der Bestnote AAA auf AA herabgestuft.

Soziologen kümmern sich derweil um eine verlorene Generation. Junge Leute wie Carles, Juan Pablo, Fabiola, Yanira und die anderen, die noch bei den Eltern wohnen und diesen auf der Tasche liegen. Angehörige der sogenannten generación Ni-ni. Ni-ni, das heißt »Weder-noch«. Sie gehen keinem Beruf nach und studieren auch nicht, weil sie keinen Sinn darin sehen und jahrelang vorgelebt bekamen, dass sich Geld auch ohne Anstrengung verdienen lässt, indem man auf Immobiliengewinne spekuliert. Der Fernsehsender La Sexta hat ihnen eine eigene Serie gewidmet. Eine Mischung aus Big Brother und Super Nanny. Soziale Unruhen scheinen aber nicht zu drohen. Der Aufstand des öffentlichen Dienstes gegen die Sparmaßnahmen vorige Woche blieb aus, auch wenn die Gewerkschaften das Gegenteil behaupten. Und wenn sie nun zum Generalstreik gegen die Arbeitsmarktreform aufrufen, muss Zapatero die Gewerkschaften weniger fürchten als den Widerstand der konservativen Opposition bei der Abstimmung im Parlament. Die sieht zwar die Notwendigkeit der eingeleiteten Maßnahmen, aber noch mehr lockt sie die Chance, selbst an die Regierung zu kommen.

»Das ist keine Krise, sondern der Beginn einer neuen Ära«

Spaniens Sparkassen, die mehr als die Hälfte der Immobiliendarlehen schultern, versuchen inzwischen, sich mit Zusammenschlüssen gegenseitig zu stützen. Jahrelang hatte die Zentralbank vergeblich eine Konsolidierung der 45 stark mit den politischen Führungen der Regionen verbundenen cajas gefordert. Zuletzt musste sie zwei überschuldeten Instituten beispringen. Ende vergangener Woche aber vereinbarten nun Caja Madrid, Bancaja aus Valencia und mehrere kleinere Institute ihren Zusammenschluss zur künftig größten spanischen Sparkasse. Sie sollen dafür fast 4,5 Milliarden Euro aus einem spanischen Restrukturierungsfonds erhalten. Die beiden galicischen Sparkassen Caixanova und Caixa Galicia verabredeten am Montag ihre Fusion.

Ist es vorauseilender Gehorsam, da Währungsfonds und EU im Falle eines Rettungspakets für Spanien dies ohnehin fordern würden? Manche Experten interpretieren das so. Fernando Encinar ist einer der wenigen, die der gegenwärtigen Lage Positives abgewinnen können. Der Betreiber der Website Idealista.com, die sich dem Immobilienmarkt widmet, hat sein Büro gleich neben dem Parlament in Madrid. Dort klickt er an seinem Computer von einer Grafik mit nach unten sausender Kurve zur nächsten und sagt frohgemut: »Das ist keine Krise, sondern der Beginn einer neuen Ära. Wir werden wieder lernen, Geld wertzuschätzen, weil wir uns anstrengen müssen, um es zu verdienen.« Es sei wie bei einer Diät. »Zuerst ist der Gedanke ganz furchtbar, dass man das Stück Kuchen oder die Schokolade nicht mehr essen darf. Aber mit jedem Kilo, das man verliert, fühlt man sich auch besser.« Arbeitslose wie Marta sehen das vermutlich anders.

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