Demonstrationen in Dresden
Eine Festung gegen Intoleranz
In Gedenken an die Zerstörung durch alliierte Bomben vor 65 Jahren: Der friedliche Protest von mehr als 10.000 Menschen konnte den geplanten Naziaufmarsch in Dresden verhindern.
- Datum 13.2.2010 - 19:19 Uhr
Dresden im Ausnahmezustand: 65 Jahre nach der Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg hat nur ein massives Polizeiaufgebot ein weitgehend friedliches Gedenken an die Bombennacht möglich gemacht. Dennoch blieb die Elbestadt von einem stillen Erinnern erneut weit entfernt. Mehr als 10.000 Menschen stellten sich am Samstag überall in der Stadt Rechtsextremen entgegen, die die Erinnerung an Dresdens Bombardierung vom 13./14. Februar 1945 durch englische und amerikanische Kampfflieger für ihre Zwecke missbrauchen – die Schuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg zu leugnen oder zumindest abzuschwächen.
Größere Zusammenstöße blieben bis zum Nachmittag aus. Allerdings kam es an mehreren Stellen in der Neustadt zu Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Gruppierungen. Auch Polizisten wurden angegriffen. Beamte lösten eine Sitzblockade von Antifa-Anhängern auf, indem sie die linken Demonstranten von der Straße zerrten. Bis zum frühen Abend wurden laut Polizei rund 20 Anhänger der linken und rechten Szene in Gewahrsam oder festgenommen.
Schon lange vor dem geplanten Neonazi-Aufmarsch der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland wurde klar, dass das Konzept der Rechtsextremen diesmal nicht aufgehen würde. Ursprünglich hatten sie einen kilometerlangen Zug durch die Stadt geplant. Am Ende stand nur noch eine kürzere Ersatzroute zur Disposition. Bis zum Nachmittag war es noch bei einer Kundgebung geblieben. Tausende Demonstranten blockierten stundenlang die Zugänge zum Treffpunkt der 5.000 Neonazis am Neustädter Bahnhof und ließen so viele von ihnen zunächst an diversen Punkten der Elbestadt stranden. "Keinen Zentimeter Platz für braunen Ungeist", gab der Linkspolitiker Bodo Ramelow als Losung aus. Er war am Samstag als Vermittler zwischen Polizei und Demonstranten eingesetzt.
Gepanzerte Polizeifahrzeuge, Wasserwerfer und Hubschrauber in der Luft – Dresden glich bis zum Nachmittag einem Kampfgebiet. Für jene, die still um Angehörige oder die vielen namenlosen Opfer trauern wollten, war es ein Alptraum. Vielleicht auch deshalb wächst das Gefühl, dass Dresden als Symbol benutzt wird. "Am 13. Februar in Dresden geht es nicht um Dresden. Ort und Zeit sind lediglich Anlass", sagt der Historiker Matthias Neutzer. Mit Gleichgesinnten hat er jahrelang Dokumente von Zeitzeugen gesammelt – als Versöhnungsarbeit im Kontakt mit Überlebenden von Krieg und Gewalt in ganz Europa.
Während in der Neustadt die Polizei zwischen den Fronten stand, hielten sich auf der Altstädter Seite mehr als zehntausend Menschen an den Händen. Die Menschenkette war der Beitrag der Stadt zum Gedenktag. Minutenlang waren nur Glockengeläut und das Dröhnen der Polizeihubschrauber zu hören. Als die Glocken schließlich verstummten, brandeten Applaus und Jubel auf.
Zuvor war der geplante Verlauf der Menschenkette mehrfach verändert und erweitert worden. Die Organisatoren hatten mit weitaus weniger Teilnehmern gerechnet. Am Ende standen die Menschen trotzdem noch in Dreier- und Viererreihen hintereinander, aus der geplanten Kette vom Altmarkt bis zur Synagoge war ein geschlossener Ring geworden. "Wir machen die Stadt zu einer Festung gegen Intoleranz und Dummheit", rief Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU). Denjenigen, die aus der Geschichte nichts gelernt hätten, habe man klar die Stirn geboten, sagte Sachsens CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich.
Gleich neben ihm stand Hannelore Quitter. Auch sie trug am Samstag eine weiße Rose am Revers, das Symbol des Widerstands gegen das NS-Regime. Die 72-Jährige hatte den Krieg selbst miterlebt, kam danach in das zerstörte Dresden. "Damals habe ich mir geschworen, alles zu tun, damit so etwas nie wieder passieren kann", sagte sie. "Wenn ich diese Nazis sehe, stehen mir die Haare zu Berge."
Am Abend sollten in Dresden noch einmal die Kirchenglocken den Ton des Gedenkens angeben. Vor 65 Jahren erreichten gegen 22.00 Uhr die ersten britischen Bomber Dresden und klinkten ihre Geschütze über der historischen Altstadt aus. Hunderte Einwohner der Stadt kommen seitdem alljährlich zu diesem Zeitpunkt an die Frauenkirche – mit Kerzen in der Hand. Vielen Dresdnern ist das der eigentliche Moment des Erinnerns.
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